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  • AutorenbildMilaidin

Summer of '85

Der Sommer '85 war ein ganz besonderer Sommer. Ich bekam damals – schlappe 16 Jahre nach meinem damaligen Vorbild Bryan – meine erste echte sechssaitige Gitarre, auf der ich spielte, bis meine Finger bluteten, der französische Chansonnier Billy Joel veröffentlichte ein Best-of-Album, das mich dazu veranlassen sollte, alle seine Schallplatten – also MP3s aus Vinyl – davor und danach zu erwerben, und Michel Jacqueson – noch ein Franzose – war mit Bubbles allein zu Haus, weil der Kevin damals selbst für den Michel noch zu klein und die Zeit für die Gründung eines Weindepots noch nicht reif war.


Ein leichtsinniger Bursche übrigens, dieser Bryan aus Zeile 2. Ich würde mal sagen, Typ Holzfäller, rauchige Stimme, obwohl er wie die meisten von uns damals sicher noch Lord Extra geraucht hat, eine Zigarettenmarke, die wenig später als "voll schwul" gebrandmarkt wurde – heute würde man für eine derart verqueere Feststellung vermutlich nicht gebrandmarkt, sondern von einem aufgebrachten Mob in der Küche mit einem Löffel entzwei geschlagen, aber damals hat sich irgendwie keiner was dabei gedacht.


Jedenfalls wurden die Lords – mittlerweile übrigens offiziell die dienstälteste Rockband der Welt – schnell durch deutlich männlichere Marken ersetzt ... auch von den Mädchen, die vermutlich klingen wollten wie Rod Stewart, Joe Cocker oder Katy Karrenbauer. Wir Jungs haben deshalb nur die Augen verdreht und "Mein Gott Walter" gedacht. Einige dieser Marken sind mittlerweile zwar verboten, aber hey ... liberté toujours und noch dazu toasted! Was waren wir cool Ende der 80er. Heute kriege ich ja schon Sodbrennen, wenn ich an schwarze Gitanes ohne Filter auch nur denke.


Besagter Bryan hatte jedenfalls eine ausgesprochen kurze Liebelei mit irgendeiner eher schüchternen Eve, die schneller vorbei war, als er Adams agen konnte. Nach einer Nacht, um genau zu sein, aber das war ihm egal, weil er ihr danach unverdrossen nachgelaufen ist und ihr den Himmel versprochen hat. Eigentlich hat er nach eigener Aussage alles, was er getan hat, nur für sie gemacht, das volle Programm eben.


Und für alle, denen die Begriffe "Schallplatte" und "Vinyl" nicht geläufig sind: Schallplatten werden seit 1948 aus Vinyl hergestellt, was wiederum die Kurzform von Polyvinylchlorid ist, bei dem es sich ja bekanntlich um ein thermoplastisches Polymer handelt, das durch Kettenpolymerisation aus dem Monomer Vinylchlorid hergestellt wird. Und hier noch ein besonderer Leckerbissen für die Streberschlümpfe: vor 1948 bestanden Platten aus Schellack, das zwar deutlich härter ist als Gelee, aber bis heute selbst an Tankstellen nicht für Malerarbeiten verwendet wird.


Gut, was? Während die Anna-Lena jetzt vermutlich behaupten würde, das habe sie sich gerade selbst ausgedacht, würde der Söder wohl nur müde lächeln und erklären, er, der GröMaZ – für die Jüngeren unter uns der Größte Ministerpräsident aller Zeiten – habe das Vinyl überhaupt erst erfunden. Stimmt aber gar nicht. Die Erklärung stammt natürlich aus der Wikipedia. Wobei ja meines Erachtens aus DEM Wikipedia oder DER Ilvypedia korrekt wäre, aber das wie so oft mal wieder nur am Rande.


Sommer '85 also. Ich erinnere mich noch, als wäre es vor 36 Jahren gewesen. Ich zog damals mit meinen Freunden um die Häuser. Außenseiter allesamt mit Strickpullis, Indianerfiguren ostdeutscher Herkunft und Übergewicht ... also wir, nicht die Indianer. Es war diese wunderbare Zeit der coolen Partys mit all den süßen Mädchen aus der Schule ... auf die wir mit derselben radikalen Konsequenz nicht eingeladen wurden, mit der man Hunden verbietet, aufs Kopfkissen zu kacken.


Aber das focht uns nicht an in jenem heißen Sommer, in dem an jeder zweiten Ecke ein Clown mit spitzen Zähnen stand, der uns Luftballons schenken wollte. Aber wir hassten Clowns, denn eines hatte uns Penny, das einzige Mädchen in unserer Bande, eingeschärft: Clowns sind böse, obwohl sie zwei Jahre zuvor Akrobaten noch schööön gefunden hatte. Aber das war lange her, meinte Penny damals und erklärte, dass ihr Freund der Clown tot sei ... und spätestens in diesem Moment war uns klar ... Penny weiß alles, hat von Schlagern aber keine Ahnung.


1985 war auch das Jahr von Micki Krause, der außer seiner Föhnfrisur allerdings nichts mit den Friseusen seines Künstlernamensvetters zu tun hatte. Okay, er war auch zu blöd, um aus dem Busch zu winken, aber eigentlich war er die perfekte Verkörperung der prolligen Dreifaltigkeit aus Muscle Shirt, Vokuhila und Goldkettchen ... und in unserer Siedlung ähnlich gefürchtet wie eine leere Flasche Clerasil ... oder wie der olle Goethe gesagt hätte ... Micki mir kraust vor dir.


Vermutlich hat er Probleme deshalb meistens mit dem Faust geregelt. Wobei ich zugebe, dass er eine schwere Kindheit hatte. Er konnte nicht Tennis spielen und war ein derartiger Bewegungslegastheniker, dass er auf der legendären Wasserturmwiese, auf der sich alle fußballbegeisterten Jungs und Mädchen tagtäglich nach den Hausaufgaben einfanden, um bis zum Einbruch der Dunkelheit zu kicken – einige auch nur, um rumzuknutschen –, bestenfalls als Eckfahne ins Team gewählt wurde. Da kann man schon mal aggro werden und allen gehörig auf den Zeiger gehen. Mir vor allem. Keine Ahnung warum, aber irgendwie hatte er seinen Spaß daran, mich zu schikanieren.


Und weil ich a) ein braves Kind war und b) gerade kein Aggrotan zur Hand hatte, habe ich mich demütig von ihm triezen lassen und geduldig auf meine Chance gewartet, die sich eines Tages in Gestalt seines Haustürschlüssels auch tatsächlich einstellte. Den hatte der gute Micki nämlich immer um den Hals hängen – noch so eine Peinlichkeit –, was vor allem beim Öffnen der heimischen Haustür unfassbar blöd aussah – wie eine Kuh beim Grasen halt – und mich dazu beflügelte, ihm ausgerechnet in diesem Moment der Schwäche einfach mal mit Schmackes in den Hintern zu treten.


Gesagt getan. Ich trat ihm also in aller Freundschaft in den Allerwertesten, er schreckte hoch und riss durch den Ruck den schon im Schloss steckenden Schlüssel aus selbigem und sein Kettchen bei dieser Gelegenheit gleich ab, wodurch der Schlüssel in hohem Bogen durch die Luft segelte und – ja, das Leben ist grausam – genau vor meinen Füßen zum Landeanflug ansetzte. Ich hätte ihn auch problemlos fangen können, aber irgendwie fand ich es viel lustiger, die Flugbahn des Schlüssel bis in den Gully vor mir interessiert zu verfolgen. Ja, ja, jaaaa ... und weg war er.


Autsch, dachte ich noch, aber DANN hat er den größten Fehler unserer gemeinsamen Jugend gemacht, der vermeintliche Bad Boy. Er hat nämlich, wild entschlossen, mir alles heimzuzahlen, bei uns geklingelt und sich bei meiner Mutter beschwert, dass ich ABSICHTLICH, VORSÄTZLICH und ÜBERHAUPT seinen Hausschlüssel in den Gully geworfen hätte ... ich blöde Sau. Das war jetzt natürlich gar nicht gut - allerdings in erster Linie für ihn, weil ALLE Umstehenden nun hörten, wie meine Mutter, die offenbar immer schon eine coole Socke war, obwohl mir das als pubertierendem Sonny Crockett für Arme damals noch gar nicht bewusst war, mit krächzender Sprechanlagenstimme im leicht genervten Befehlston eines Drill Sergeants anordnete: "Ja, dann hol ihn halt wieder raus, anstatt mich zu nerven ... Depp!"


Seit diesem denkwürdigen Tag hatte ich Ruhe vor dem frisch gekürten Gespött der Siedlung. An dieser Stelle noch mal danke, Mama.

Wenn ich ehrlich bin, hatte ich schon damals einen Waschbärbauch ... Quelle: Shutterstock




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